In meiner Reihe „Mein Jahr in Büchern“ zeige ich Dir heute welcher Lesestoff mir in den letzten Tagen und Wochen die Tage kürzer und die Nächte länger gemacht hat. Der Monat Juni stand ganz im Zeichen von großen Biografien. Ich bin abgetaucht in das Leben anderer Menschen, habe Episoden ihres Daseins mitgelebt und mit Haut und Haar mitgefühlt. Das ist das Besondere an Biografien, wie ich finde. Die Geschichten sind echt, als Leser nimmt man teil am Denken, Handeln und Fühlen der porträtierten Person und darf darüber hinaus an ihrer persönlichen Entwicklung teilhaben. Das sind für mich ganz besondere und intensive Lesemomente…
Weil viele Biographien oft auch von schmerzhaften Erlebnissen, verpassten Möglichkeiten und persönlichen Tiefpunkten erzählen, wollen sie auf der anderen Seite auch Mut machen, zum Durchhalten inspirieren und neue Hoffnung schenken. Diese ungefilterten Lebensgeschichten sind es, die mich faszinieren und den Wunsch in mir auslösen mehrere hundert Seiten Buch in einem Atemzug zu verschlingen.
Heute zeige ich Dir welche 5 Biografien mich im Juni besonders begeistert haben:
„Astrid Lindgren – Ihr Leben“ von Jens Andersen (DVA): Dem dänischen Autor und großen Astrid-Lindgren-Verehrer Jens Andersen ist mit diesem Buch ein eindrucksvolles Bild einer außergewöhnlichen Frau gelungen. Mit Unterstützung von Karin Nyman, Astrid Lindgrens Tochter, sichtete er das riesige Archiv und wählte viele Zitate und Fotos aus, um das Leben der schwedischen Kinderbuch-Autorin so detailliert und eindrücklich wie möglich nachzuzeichnen. Das Buch ist sehr ergreifend geschrieben und liest sich wie ein Roman. Die Biografie erzählt unter anderem von der Zeit, als die rebellische Bauerntochter mit dem ersten Bubikopf der Stadt ein Volontariat bei der Lokalzeitung macht, mit 18 Jahren vom Chef-Redakteur schwanger wird und sich trotz allem gegen das sichere Leben mit dem Vater ihres Kindes entscheidet, und stattdessen die Freiheit wählt. Davon wie sie anschließend nach Stockholm geht, eine Ausbildung zur Sekretärin beginnt, während ihr neugeborener Sohn Lasse in einer Pflegefamilie in Dänemark aufwächst. Als Lasse 3 Jahre alt ist, holt sie ihren Sohn nach Hause. Über ihre großen Schuldgefühle, in den ersten Jahren nicht für ihren Sohn dagewesen zu sein, kann sie erst mit über 70 Jahren sprechen. Ganz nebenbei erzählt erzählt das Buch auch viel über die schwedische Kultur- und Literaturgeschichte, und darüber, wie Astrid Lindgren mit zunehmendem literarischen Erfolg auch eine starke politische Stimme Schwedens wurde. Sie setzte sich sehr für die Rechte von Frauen und ganz besonders von Kindern ein. Fotos, Tagebuchausschnitte, Briefe und Notizen unterstreichen diese Lebensgeschichte, die so nah und echt erzählt wird, also wäre man dabei. Ein wunderbares Buch und eine Pflichtlektüre für alle Astrid Lindgren Fans!
„Erzherzogin Sophie – Die starke Frau am Wiener Hof“ von Anna Ehrlich und Christa Bauer (Almathea): Wer kennt sie nicht, die böse Stiefmutter aus den Sisi-Filmen. Dass dieses negative Bild mehr oder weniger allein auf den Äußerungen von Schwiegertochter Elisabeth gründete, und von diversen Roman- und Drehbuchautoren weiter inszeniert wurde, wissen dabei die wenigsten Leute. Den beiden Autorinnen gelingt mit umfangreichen Archivrecherchen, der Sichtung von Tagebüchern, Briefen, Mitteilung von Zeitgenossen und überlieferten Äußerungen eine neue, spannende Darstellung von Erzherzogin Sophie. Weil ich Wien und all seine Geschichten sehr liebe, habe ich dieses Buch mit großer Freude gelesen. Es erzählt von dem Leben von Prinzessin Sophie von Bayern, der Mutter von Kaiser Franz Joseph und möchte ein realistischeres Bild dieser außergewöhnlichen wenn auch kontroversen Frau zeigen. Das Buch berichtet von einer intelligenten und ehrgeizigen Sophie, die eine glückliche Kindheit am bayerischen Königshof erlebte, sich als junges Mädchen mit dem österreichischen Erzherzog Franz Karl verlobte und nach Wien ging, wo sie mit offenen Armen empfangen wurde. Was folgte waren viele Fehlgeburten, angebliche Affären und ein unterkühltes Verhältnis zu ihrer Nichte und Schwiegertochter Elisabeth (Sisi). Neben ihrem Händchen für taktlose Bemerkungen war Sophie aber auch für ihre große Liebenswürdigkeit bekannt, und so möchte dieses Buch dazu beitragen, dass Sisi’s Schwiegermutter folglich etwas ausgewogener beurteilt wird. Ein schönes Buch mit vielen unbekannten Details und zahlreichen beeindruckenden Fotos und Abbildungen!
„Fräulein Jacobs funktioniert nicht – Als ich aufhörte, gut zu sein“ von Louise Jacobs (Knaur): In diesem Buch schreibt Louise Jacobs, Enkelin von Walter Johann Jacobs, über ihre schwierige Kindheit in der durch Kaffee berühmt gewordenen Dynastie, und darüber wie sie es geschafft hat sich von ihrer Familie abzunabeln, und ihren eigenen Weg zu gehen. Diese ehrliche, sehr persönliche Autobiografie ist so schonungslos geschrieben, dass sie manchmal fast Beklemmungszustände auslöst. Die komplizierte Kindheit, die von großem Erfolgsdruck und andauerndem Nicht-Können geprägt war, die diagnostizierte Legasthenie und Rechenschwäche die zwar Erklärungen lieferte, aber überhaupt kein Mitgefühl. Dabei träumte Louise Jacobs seit ihrer Kindheit von einem Leben als Cowboy, liebte ihren Kurzhaarschnitt und kleidete sich mit Vorliebe in Jungs-Klamotten. Nach einigen Auf und Abs gelingt der Autorin mit 18 Jahren der große Befreiungsschlag – sie zieht aus, verliebt sich, beginnt ihren ersten Job. Ein wunderbares Buch über das Scheitern und darüber wie man trotzallem seine großen und kleinen Lebensträume verwirklicht, denn heute schreibt Louise Jacobs Bestseller!
„Wer fast nicht braucht, hat alles. Janosch – die Biografie“ von Angela Bajorek (Ullstein): Wer kennt sie nicht: Die Geschichten vom Bär und dem Tiger – Lieblinge aller Kinder und vieler Erwachsener, etwas Schöneres wurde über wahre Freundschaft selten geschrieben, finde ich. Dass die Kindheit des Mannes, dessen Kopf diese Geschichten entsprungen sind, alles andere als schön war, war lange nicht bekannt. Janosch, geboren als Horst Eckert, lebte immer schon sehr zurückgezogen und bescheiden, gibt kaum Interviews. Dass dieses Buch trotzdem entstanden ist, ist vor allem der Hartnäckigkeit der Autorin Angela Bajorek zu verdanken. Sie las seine Bücher, besuchte seine Geburtsstadt, redete mit Historikern, recherchierte in Archiven und bekam irgendwann die Email-Adresse des berühmten Autors. 5 Jahre lang brachte sie in langen Gesprächen und vielen Emails Informationen und zahlreiche Details zusammen, um vom Leben des Autors und Illustrators zu erzählen. „Ich werde niemals mehr jemandem so viel über mich sagen“ hat Janosch zu seiner Biografin gesagt, die beiden pflegen heute noch einen intensiven Kontakt zueinander. Über diese unbeschreiblich unglückliche Kindheit zu lesen, tut einem selber richtig weh. Der alkoholkranke Vater, der Mutter und Sohn regelmäßig verprügelt, die resignierte, grimmige Mutter, die sich auch nicht anders zu helfen weiß, und ihren Sohn ebenfalls bewusstlos schlägt, der erzwungene Dienst in der Hitlerjugend und das Leben im Krieg, die ersten schriftstellerischen Erfolge in den 60er Jahren, der Rückzug in das alte Haus am Ammersee (ganz in meiner Nähe übrigens), bis zu seinem heutigen Leben in der Hängematte auf Teneriffa – es ist alles drin in diesem Buch. 85 Jahre Lebensgeschichte, wunderbar recherchiert und berührend aufgeschrieben!
„Der König aller Krankheiten“ von Siddhartha Mukherjee (Dumont): Dieses Buch eroberte alle Bestsellerlisten, bekam 2011 als bestes Sachbuch den Pulitzer-Preis verliehen, und trotzdem kostete es mich eine ordentliche Portion Überwindung das knapp 700-Seiten starke Werk zu lesen. Aber weil es manchmal gut und heilsam ist, sich und seine Angstgegner zu überwinden, habe ich das Buch irgendwann einfach aufgeschlagen, los- und in knapper Zeit auch ausgelesen. Als der Autor und junge Mediziner Siddhartha Mukherjee vor einigen Jahren seine Facharztausbildung absolvierte, stand ihm eine Patientin gegenüber, die erneut gegen bösartige Tumore kämpfen musste. „Ich kämpfe weiter, aber vorher muss ich wissen, gegen was ich antrete!“ sagte sie zu dem jungen Arzt. Als dieser nach Literatur suchte, die die Fragen „Wo stehen wir im Kampf gegen Krebs?“ und „Wie ist das Wesen dieser Krankheit?“ allgemein verständlich beantworten sollte, fand er NICHTS. Also beschloss er dieses Buch einfach selbst zu schreiben. Herausgekommen ist ein brillant recherchiertes und unglaublich kenntnisreiche Buch, dass das Ziel hat, unser Verhältnis zum Krebs zu ändern. In unserer Vorstellung ist diese schreckliche Krankheit ein Produkt unserer modernen Zeit, dabei lebt die Menschheit schon seit über 5000 Jahren damit. Krebs ist also nichts neues, sondern lediglich sichtbare, besser diagnostizierbar und tritt in einer immer älter werdenden Gesellschaft zudem häufiger auf. Mit zahlreichen Patienten-Geschichten analysiert Siddhartha Mukherjee das Wesen der Krankheit und hinterfragt anerkannte und unkonventionelle Therapiemethoden zugleich. Und so beklemmend dieses Buch manchmal auch ist, es macht keine Angst. Vielmehr fordert es – auf sehr feinfühlige Art und Weise – dazu auf, die Krankheit aus einem neuen Blickwinkel zu akzeptieren und einen neuen Umgang damit zu finden. Und auch wenn der Autor natürlich keine überschwänglichen Erfolgsrezepte und Heilmethoden präsentieren kann, macht das Buch Mut und Hoffnung für die Zukunft. Ein absolut beachtenswertes Buch!
So, das waren sie also, meine 5 Tipps für lesenswerte Biografien. Ich hoffe für Dich ist vielleicht das ein oder andere Buch dabei.
Und weil ich gar nicht genug davon bekomme in das Leben anderer Menschen einzutauchen, freue ich mich auch sehr über weitere Tipps zu guten Biografien im Kommentarfeld!
Ich wünsche Dir eine wunderbare Woche mit schönen Lesemomenten.
Bis zum nächsten Mail!
Allerliebst,
*bee
Alexa says
Uihhh schöner Lesestoff. Die eine oder andere Biografie kommt mit in den Urlaub! Danke für die nette Vorstellung.
*bee says
Das freut mich sehr, liebe Alexa!
Viel Spaß beim Lesen!
Allerliebst,
Birgit
Josefine says
Vielen Dank für Deine Tipps. Ich hab auch eine Biografie von Astrid Lindgren gelesen, die mich sehr gepackt hat. Ebenfalls in diesem Jahr verschlungen: „Die Regenbogentruppe“, über eine Schulklasse in Indonesien und ihre Lehrerin – großartig. Und erst kürzlich von Shonda Rhimes „Year of Yes“ – eine großartige TV-Autorin (u. a. von Grey’s Anatomy“ – das ist allerdings nicht so meins….), die ein Jahr lang zu allem Ja gesagt hat, das ihr eigentlich Angst macht. Super! Viel Vergnügen und liebste Grüße an den Ammersee, Josefine PS: Und weil es ja „fast“ Deine neue Heimat ist: „Das Leben meiner Mutter“ von Oskar Maria Graf, der am Starnberger See aufgewachsen ist – ist schon 20 Jahre her, dass ich es gelesen hab, hat mich aber auch total fasziniert…..
*bee says
Josefineeeee, wie schön von Dir zu hören!
Und danke vielmals für Deine tollen Bücher-Tipps (mal wieder ;-).
Das ein oder andere Buch wandert auf jeden Fall auch meine Urlaubs-Lese-Liste.
Allerliebste Grüße,
Birgit
Annkathrin says
Das Buch von Astrid Lindgren muss ich unbedingt noch lesen.
Die beste Biografie, die ich bis jetzt gelesen habe, war von Elisabeth Mittelstädt – Größer als meine Träume.
Würde ich jedem empfehlen zu lesen 🙂
Liebe Grüße,
Annkathrin
Roswitha says
Danke für die Empfehlungen.
Mein Tipp: Ein Garten in Italien / von Joan Marble
(Eine sehr sympathische Autobiografie von einer Amerikanerin, die der Liebe wegen in den 50er Jahren nach Italien gezogen ist. Die Gartenfreundin beschreibt offen und humorvoll ihre persönlichen Erfahrungen mit Land und Leuten. Einfach köstlich.)
LG Roswitha
*bee says
Wird sofort bestellt, vielen Dank für den Tipp, liebe Roswitha!
Allerliebste Grüße,
Birgit